Hagen-Poiseuillesches Gesetz

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Das Hagen-Poiseuillesche Gesetz – Intuitive Einführung und Examenswissen

Warum ist das Hagen-Poiseuillesche Gesetz so wichtig?

Stell dir vor, du sitzt beim Arzt und bekommst eine Infusion. Oder du willst verstehen, warum zu hohe Blutfettwerte gefährlich werden können, weil sie die Gefäße verengen. Oder warum Honig im Winter so langsam aus der Flasche läuft, während er im Sommer fast fließt wie Wasser. Hinter all diesen Alltags- und Medizinbeispielen steckt ein zentrales physikalisches Konzept: das Hagen-Poiseuillesche Gesetz.

Dieses Gesetz gibt uns eine Möglichkeit, zu berechnen, wie viel Flüssigkeit pro Zeit durch ein dünnes Rohr fließt – und zwar immer dann, wenn die Strömung ruhig (also laminar) ist und sich das Fluid wie ein „ideales“ (newtonsches) Fluid verhält.

Hinführung: Laminare Strömung im Alltag

  • Laminare Strömung: Stelle dir vor, du gießt langsam Wasser durch einen Strohhalm. Das Wasser bewegt sich ganz geordnet, die Schichten gleiten glatt übereinander. Es gibt keine Wirbel, kein Durcheinander – jede „Schicht“ des Wassers bleibt bei ihrer Nachbarin.
  • Turbulente Strömung: Das Gegenteil ‒ das kennst du vielleicht, wenn du Feuerwehrschläuche im Einsatz siehst oder einen Fluss mit Stromschnellen: das Wasser wirbelt wild durcheinander. Das Hagen-Poiseuillesche Gesetz gilt nur bei laminarer Strömung!

Das Bild: Flüssigkeitsschichten im Rohr

  • In einem zylindrischen Rohr schieben sich die Flüssigkeitsteilchen in konzentrischen „Schichten“ aneinander vorbei.
  • Ganz in der Mitte: Die Strömungsgeschwindigkeit ist am höchsten.
  • Ganz außen an der Rohrwand: Die Geschwindigkeit ist immer null – hier greift die sogenannte No-Slip-Bedingung. Das heißt, Flüssigkeitsteilchen „haften“ an der Wand und können nicht „schluck“ schneller davonfließen.

Intuitive Visualisierung

Stell dir das so vor: - In der Mitte strömt die Flüssigkeit wie ein ICE. - Je näher du an die Wand kommst, desto mehr wirst du ausgebremst, wie ein Zug, der erstmal stehen bleiben muss (No-Slip). - Das Ganze ergibt ein parabolisches Geschwindigkeitsprofil: In der Mitte schnell, an den Rändern langsam bzw. null.

Wann gilt das Gesetz? (Voraussetzungen)

  • Die Strömung ist laminar – also geordnet, ohne Turbulenzen (wichtig für kleine Durchflussraten, enge Röhren, „zahme“ Flüssigkeiten).
  • Das Fluid ist newtonsch – das heißt, seine Viskosität (Zähigkeit) ist immer gleich, egal, wie schnell du umrührst oder wie sehr du drückst. (Blut ist z.B. nicht immer streng newtonsch – mehr dazu später.)
  • Zylindrisches Rohr mit konstantem Radius.
  • Glatte Wände – denn an rauen Wänden kann es zu Unregelmäßigkeiten kommen.
  • Stationäre Bedingungen – die Drücke und Strömungen ändern sich nicht dauernd hin und her.

Die Formel – Was steckt drin?

Das Herzstück des Hagen-Poiseuilleschen Gesetzes ist die folgende Gleichung für den Volumenstrom \(Q\) (also, wie viel Volumen pro Zeit durch das Rohr fließt):

\[ Q = \frac{\pi r^4 \Delta P}{8 \eta L} \]

  • Q: Volumenstrom (Was kommt pro Sekunde raus?)
  • r: Innenradius des Rohrs (Achtung: Der Radius, nicht der Durchmesser!)
  • ΔP: Druckunterschied zwischen Anfang und Ende des Rohrs
  • η oder μ: Dynamische Viskosität (Maß für die Zähigkeit der Flüssigkeit, Einheit: Pa·s)
  • L: Länge des Rohrs
NoteKleine Änderungen am Radius – Riesenwirkung!

Das IMPP (und die Physik allgemein!) legt besonders viel Wert auf das richtige Gefühl für den Radius: Der Volumenstrom \(Q\) hängt von der vierten Potenz des Radius ab! Das heißt: Wenn du den Radius verdoppelst, steigt der Durchfluss um das 16-fache!

Beispiel aus der Medizin:

Wird zum Beispiel ein Gefäß im Körper bei Arteriosklerose (Gefäßverkalkung) auf die Hälfte seines ursprünglichen Innendurchmessers verengt, sinkt der Blutfluss auf nur 1/16! Ein kleines bisschen enger – und schon deutlich weniger Durchfluss!

Das parabolische Geschwindigkeitsprofil: Warum ist die Mitte so schnell?

Die Flüssigkeitsteilchen in der Mitte des Rohrs „spüren“ am wenigsten Reibung durch die Wand. Anders gesagt: dort gibt es keine Bremse von seitwärts. Deshalb ist die Geschwindigkeit dort am höchsten.

Am Rand – dort, wo die Flüssigkeit die Rohrwand berührt – ist die Geschwindigkeit immer null (No-Slip!). Das Wasser „klebt“ an der Wand fest.

Aus dieser Überlegung ergibt sich eine schöne Parabel: Schnell in der Mitte, langsam am Rand. Das wird mathematisch durch das Gesetz beschrieben.

Strömungswiderstand – Wie „stark“ muss ich drücken?

Man kann das Hagen-Poiseuillesche Gesetz auch so schreiben, dass eine Art Widerstand \(R\) für die Flüssigkeit definiert wird – ganz ähnlich wie ein elektrischer Widerstand in der Physik:

\[ R = \frac{8 \eta L}{\pi r^4} \]

\(R\) ist hier der Strömungswiderstand des Rohrs.
Je größer R, desto „zähflüssiger“ ist die Leitung.

Einfluss einzelner Größen auf den Widerstand:

  • Je länger das Rohr (\(L\)), desto größer der Widerstand.
  • Je zähflüssiger die Flüssigkeit (\(\eta\)), desto größer der Widerstand.
  • Je dünner das Rohr (kleiner \(r\)!), desto explosionsartig größer wird der Widerstand (wegen \(r^4\) im Nenner!).
  • Kurze, breite Kanülen sind also günstiger zum Durchfluss als lange, dünne! Das fragen Prüfungen gern ab.

Temperatur und Viskosität – Warum läuft Honig im Winter zäh und im Sommer dünn?

Die Viskosität (\(\eta\)) beschreibt, wie zäh eine Flüssigkeit ist (vergleich mal Wasser und Honig!). Steigt die Temperatur, werden die Teilchen beweglicher, die Flüssigkeit „dünnflüssiger“ – die Viskosität sinkt.

  • Bei sinkender Viskosität fließt Flüssigkeit leichter (größerer \(Q\) bei gleichem ΔP).
  • Das ist der Grund, warum im Krankenhaus Infusionslösungen manchmal angewärmt werden – so laufen sie schneller durch den Zugang!

Experimentelle Anwendung: Das Kapillarviskosimeter

Um die Viskosität einer Flüssigkeit zu bestimmen, misst man mit einem sogenannten Kapillarviskosimeter: 1. Man kennt Länge und Radius des Kapillarröhrchens. 2. Man misst, wie viel Flüssigkeit (\(Q\)) pro Zeit hindurchfließt, wenn ein bestimmter Druckunterschied (\(\Delta P\)) anliegt. 3. Daraus lässt sich die Viskosität \(\eta\) berechnen: alle anderen Größen sind ja bekannt.

NoteVerwechslungsgefahr: Dynamische vs. alternative Symbole

Du findest für die Viskosität oft das Zeichen \(η\) (Eta, physikalische Chemie) oder \(μ\) (My, vor allem in der Technik) – beide meinen genau das Gleiche! Das IMPP wechselt hier gerne ab, in Formeln ist also beide Varianten richtig zu erkennen!

Was gilt NICHT? Typische Stolperfallen

  • Das Hagen-Poiseuillesche Gesetz gilt nur für laminare Strömung einer newtonschen Flüssigkeit! Bei turbulenter Strömung oder nicht-newtonschen Flüssigkeiten (wie Zahnpasta, Pudding, Blut bei hoher Schergeschwindigkeit) ist die Formel NICHT anwendbar.
  • Das Gesetz ist extrem empfindlich gegenüber kleinen Durchmesseränderungen, woraus die große Bedeutung für medizinische Anwendungen (z.B. Gefäßverengungen, Kanülenauswahl) resultiert.

Verständnis-Check: Was ist besonders prüfungsrelevant?

  • Welche Größen beeinflussen \(Q\) und \(R\) am stärksten (besonders der vierte Potenz-Effekt des Radius)?
  • Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein (laminar, newtonsch, glattes Rohr, stationäre Bedingungen)?
  • Warum ist die Geschwindigkeit in der Mitte maximal, und was ist die No-Slip-Bedingung?
  • Wie kann man mit dem Gesetz die Viskosität experimentell bestimmen?

Zusammenfassung

  • Das Hagen-Poiseuillesche Gesetz beschreibt, wie viel Flüssigkeit pro Zeit (Volumenstrom \(Q\)) durch ein dünnes Rohr mit laminarer Strömung und newtonscher Flüssigkeit fließt; das Gesetz gilt nicht bei turbulenter Strömung oder nicht-newtonschen Flüssigkeiten.
  • Der Radius des Rohrs hat einen extrem starken Einfluss auf den Volumenstrom, weil \(Q\) proportional zur vierten Potenz des Radius ist; selbst kleine Durchmesseränderungen führen zu drastisch verändertem Durchfluss (z. B. bei Gefäßverengung).
  • An den Rohrwänden ist die Strömungsgeschwindigkeit wegen der No-Slip-Bedingung immer null, während sie in der Mitte maximal ist; dadurch ergibt sich ein charakteristisches parabolisches Geschwindigkeitsprofil in der Strömung.
  • Der Strömungswiderstand \(R\) steigt mit der Viskosität und der Rohrlänge sowie besonders stark bei kleinerem Radius (wegen \(r^4\)-Effekt), daher sind kurze, breite Zugänge in der Medizin vorteilhaft.
  • Die Viskosität eines Fluids beeinflusst entscheidend die Fließgeschwindigkeit; bei Erwärmung wird ein Fluid dünner und fließt schneller (z. B. Honig im Sommer oder erwärmte Infusionslösungen im Krankenhaus).
  • Mit dem Gesetz kann man experimentell die Viskosität bestimmen, indem man Durchfluss, Röhrenmaße und Druckunterschied kennt (Kapillarviskosimeter).

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