§ 79

📖 Zum Gesetz

  1. Das Bundesministerium wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates Ausnahmen von den Vorschriften dieses Gesetzes und der auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen zuzulassen, wenn die notwendige Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln sonst ernstlich gefährdet wäre und eine unmittelbare oder mittelbare Gefährdung der Gesundheit von Menschen durch Arzneimittel nicht zu befürchten ist; insbesondere können Regelungen getroffen werden, um einer Verbreitung von Gefahren zu begegnen, die als Reaktion auf die vermutete oder bestätigte Verbreitung von krankheitserregenden Substanzen, Toxinen, Chemikalien oder eine Aussetzung ionisierender Strahlung auftreten können.

  2. (weggefallen)

  3. Die Rechtsverordnungen nach Absatz 1 ergehen im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit, soweit es sich um radioaktive Arzneimittel und um Arzneimittel, bei deren Herstellung ionisierende Strahlen verwendet werden, oder um Regelungen zur Abwehr von Gefahren durch ionisierende Strahlung handelt.

  4. Die Geltungsdauer der Rechtsverordnung nach Absatz 1 ist auf sechs Monate zu befristen.

(4a) Wenn im Fall einer bestehenden oder drohenden bedrohlichen übertragbaren Krankheit die notwendige Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln sonst ernstlich gefährdet wäre, kann das Bundesministerium unbeschadet der Aufgaben anderer zur Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung Arzneimittel sowie Wirk-, Ausgangs- und Hilfsstoffe sowie Packmittel von Arzneimitteln selbst oder durch beauftragte Stellen herstellen, beschaffen, lagern und in Verkehr bringen. Von den Abnehmern der Arzneimittel, Wirk-, Ausgangs- und Hilfsstoffe und Packmittel von Arzneimitteln soll ein angemessener Ersatz der Aufwendungen verlangt werden. Durch die Regelung bleiben haushaltsrechtliche Vorgaben unberührt.

(4b) Das Bundesministerium kann unbeschadet der Aufgaben anderer bis zum 31. Dezember 2027 COVID-19-Impfstoffe selbst oder durch beauftragte Stellen beschaffen, lagern und in Verkehr bringen. § 3 der Medizinischer Bedarf Versorgungssicherstellungsverordnung vom 25. Mai 2020 (BAnz AT 26.05.2020 V1), die zuletzt durch Artikel 8b des Gesetzes vom 16. September 2022 (BGBl. I S. 1454) geändert worden ist, findet entsprechende Anwendung. Soweit gemäß § 3 Absatz 4 Satz 1 und 2 der Medizinischer Bedarf Versorgungssicherstellungsverordnung in Verbindung mit Satz 2 die Haftung ausgeschlossen oder eingeschränkt wird, gilt dies nicht für die Haftung nach dem Produkthaftungsgesetz. § 15 Absatz 1 des Produkthaftungsgesetzes ist insoweit nicht anzuwenden.

  1. Im Falle eines Versorgungsmangels der Bevölkerung mit Arzneimitteln, die zur Vorbeugung oder Behandlung lebensbedrohlicher Erkrankungen benötigt werden, oder im Fall einer bedrohlichen übertragbaren Krankheit, deren Ausbreitung eine sofortige und das übliche Maß erheblich überschreitende Bereitstellung von spezifischen Arzneimitteln erforderlich macht, können die zuständigen Behörden im Einzelfall gestatten, dass Arzneimittel, die nicht zum Verkehr im Geltungsbereich dieses Gesetzes zugelassen oder registriert sind,
  1. befristet in Verkehr gebracht werden sowie
  2. abweichend von § 73 Absatz 1 in den Geltungsbereich dieses Gesetzes verbracht werden. Satz 1 gilt, wenn die Arzneimittel in dem Staat rechtmäßig in Verkehr gebracht werden dürfen, aus dem sie in den Geltungsbereich dieses Gesetzes verbracht werden oder wenn die zuständige Bundesoberbehörde festgestellt hat, dass die Qualität der Arzneimittel gewährleistet ist und ihre Anwendung nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis zur Vorbeugung oder Behandlung der jeweiligen Erkrankung erwarten lässt. Die Gestattung durch die zuständige Behörde gilt zugleich als Bescheinigung nach § 72a Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 oder nach § 72b Absatz 2 Satz 1 Nummer 3, dass die Einfuhr im öffentlichen Interesse liegt. Im Falle eines Versorgungsmangels oder einer bedrohlichen übertragbaren Krankheit im Sinne des Satzes 1 können die zuständigen Behörden im Einzelfall auch ein befristetes Abweichen von Erlaubnis- oder Genehmigungserfordernissen oder von anderen Verboten nach diesem Gesetz gestatten. Vom Bundesministerium wird festgestellt, dass ein Versorgungsmangel oder eine bedrohliche übertragbare Krankheit im Sinne des Satzes 1 vorliegt oder nicht mehr vorliegt. Die Feststellung erfolgt durch eine Bekanntmachung, die im Bundesanzeiger veröffentlicht wird. Die Bekanntmachung ergeht im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit, soweit es sich um radioaktive Arzneimittel und um Arzneimittel handelt, bei deren Herstellung ionisierende Strahlen verwendet werden.
  1. Maßnahmen der zuständigen Behörden nach Absatz 5 sind auf das erforderliche Maß zu begrenzen und müssen angemessen sein, um den Gesundheitsgefahren zu begegnen, die durch den Versorgungsmangel oder die bedrohliche übertragbare Krankheit hervorgerufen werden. Widerspruch und Anfechtungsklage gegen Maßnahmen nach Absatz 5 haben keine aufschiebende Wirkung.

Ausnahme-Regelungen zur Sicherstellung der Arzneimittelversorgung

§ 79 AMG bildet die zentrale rechtliche Grundlage, um in Krisensituationen (z.B. Pandemien, Naturkatastrophen, Lieferengpässen) von den sonst geltenden Arzneimittelregelungen abzuweichen. Die Regelungen sollen sicherstellen, dass die notwendige Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln gewährleistet bleibt – und das auch unter außergewöhnlichen Bedingungen.

Grundlegende Ermächtigung und Ausnahmen

Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) erhält die Befugnis, in Absprache mit anderen Ministerien und mit Zustimmung des Bundesrates, nötigenfalls Ausnahmen von gesetzlichen Vorschriften zuzulassen, um die Versorgung aufrechtzuerhalten, wenn „die notwendige Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln sonst ernstlich gefährdet wäre“. Voraussetzung ist ausdrücklich, dass hierdurch keine unmittelbare oder mittelbare Gefährdung der Gesundheit von Menschen zu befürchten ist.

insbesondere können Regelungen getroffen werden, um einer Verbreitung von Gefahren zu begegnen, die als Reaktion auf die vermutete oder bestätigte Verbreitung von krankheitserregenden Substanzen… auftreten können.

Diese Kompetenz umfasst z.B. Sonderregeln bei Pandemien oder Gefahrensituationen durch Toxine und Chemikalien. Für radioaktive Arzneimittel oder solche, bei deren Herstellung ionisierende Strahlen verwendet werden, ist zudem die Einbindung des Umweltministeriums vorgeschrieben.

Dauer und Reichweite der Ausnahmen

Wichtig ist die zeitliche Begrenzung:

Die Geltungsdauer der Rechtsverordnung nach Absatz 1 ist auf sechs Monate zu befristen.

Die Maßnahmen sind also immer nur temporär und müssen laufend überprüft werden.

Sonderbefugnisse bei übertragbaren Krankheiten und Pandemien

Herstellung, Beschaffung, Lagerung und Inverkehrbringen von Arzneimitteln durch das BMG ist bei bestehenden oder drohenden bedrohlichen übertragbaren Krankheiten (z.B. während einer Pandemie) explizit erlaubt. Hier kann das BMG auch

  • Wirk-, Ausgangs- und Hilfsstoffe
  • Packmittel für Arzneimittel

selbst oder durch Beauftragte beschaffen und verteilen, wobei die Abnehmer die entstehenden Kosten ersetzen müssen.

Für COVID-19-Impfstoffe gelten bis zum 31. Dezember 2027 besondere Sonderregelungen mit Bezug auf die Medizinischer Bedarf Versorgungssicherstellungsverordnung. Grundsatz: Die Haftung nach Produkthaftungsgesetz bleibt bestehen.

Import und befristete Zulassung bei Versorgungsmangel

Ist die Bevölkerung von Versorgungsengpässen betroffen, dürfen Arzneimittel, die im Ausland bereits rechtmäßig in Verkehr gebracht worden sind, auch ohne deutsche Zulassung befristet eingeführt und abgegeben werden. Dies gilt v.a. für Arzneimittel, die zur Behandlung oder Vorbeugung lebensbedrohlicher Erkrankungen benötigt werden. Auch sonstige Genehmigungs- und Erlaubnispflichten können für eine begrenzte Zeit ausgesetzt werden.

Die Gestattung durch die zuständige Behörde gilt zugleich als Bescheinigung… dass die Einfuhr im öffentlichen Interesse liegt.

Die Feststellung, ob ein Versorgungsmangel oder eine bedrohliche Krankheitssituation vorliegt, erfolgt durch das BMG per Bekanntmachung im Bundesanzeiger.

Begrenzung und Rechtschutz

Alle Maßnahmen sind:

  • auf das erforderliche Maß zu beschränken
  • angemessen im Sinne der Abwendung konkreter Gesundheitsgefahren

Gegen diese Maßnahmen haben Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung – d.h., die getroffenen Regelungen gelten sofort.

Praxisrelevanz

In der Arbeit des Apothekers spielt § 79 AMG etwa bei kurzfristigen Imports von Arzneimitteln, der Abgabe von COVID-19-Impfstoffen und bei Preisregelungen in Notsituationen eine zentrale Rolle. Wichtig zu wissen: Ausnahmeregelungen sind stets zeitlich begrenzt und daran gebunden, dass keine Gesundheitsgefährdung erfolgt. Apotheker müssen sich zusätzlich stets an eventuelle, per Verordnung veröffentlichte Vorgaben und den aktuellen Stand der öffentlichen Bekanntmachungen halten.

Fazit

§ 79 AMG gibt dem Gesetzgeber die notwendige Flexibilität, um die Arzneimittelversorgung auch in Krisenzeiten und bei Pandemien sicherzustellen. Für die Praxis bedeutet das: Temporäre Ausnahmen und Sonderregelungen werden nur dann wirksam, wenn die Versorgungslage akut gefährdet ist – dies betrifft sowohl Herstellung, Import als auch Preisregelungen und Abgabeverschärfungen. Das Bundesministerium für Gesundheit entscheidet im Krisenfall, welche Ausnahmen wann und wie lange möglich sind.

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