§ 35c
Für die Abgabe von Bewertungen zum Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis über die Anwendung von zugelassenen Arzneimitteln für Indikationen und Indikationsbereiche, für die sie nach dem Arzneimittelgesetz nicht zugelassen sind, beruft das Bundesministerium für Gesundheit Expertengruppen beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, davon mindestens eine ständige Expertengruppe, die fachgebietsbezogen ergänzt werden kann. Das Nähere zur Organisation und Arbeitsweise der Expertengruppen regelt eine Geschäftsordnung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte, die der Zustimmung des Bundesministeriums für Gesundheit bedarf. Zur Sicherstellung der fachlichen Unabhängigkeit der Experten gilt § 139b Absatz 3 Satz 2 entsprechend. Der Gemeinsame Bundesausschuss kann die Expertengruppen mit Bewertungen nach Satz 1 beauftragen; das Nähere regelt er in seiner Verfahrensordnung. Bewertungen nach Satz 1 kann auch das Bundesministerium für Gesundheit beauftragen. Die Bewertungen werden dem Gemeinsamen Bundesausschuss als Empfehlung zur Beschlussfassung nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 zugeleitet. Bewertungen sollen nur mit Zustimmung der betroffenen pharmazeutischen Unternehmer erstellt werden. Gesonderte Klagen gegen diese Bewertungen sind unzulässig.
Außerhalb des Anwendungsbereichs des Absatzes 1 haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit zugelassenen Arzneimitteln in klinischen Studien, sofern hierdurch eine therapierelevante Verbesserung der Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung im Vergleich zu bestehenden Behandlungsmöglichkeiten zu erwarten ist, damit verbundene Mehrkosten in einem angemessenen Verhältnis zum erwarteten medizinischen Zusatznutzen stehen, die Behandlung durch einen Arzt erfolgt, der an der vertragsärztlichen Versorgung oder an der ambulanten Versorgung nach den §§ 116b und 117 teilnimmt, und der Gemeinsame Bundesausschuss der Arzneimittelverordnung nicht widerspricht. Eine Leistungspflicht der Krankenkasse ist ausgeschlossen, sofern das Arzneimittel auf Grund arzneimittelrechtlicher Vorschriften vom pharmazeutischen Unternehmer kostenlos bereitzustellen ist. Der Gemeinsame Bundesausschuss ist mindestens zehn Wochen vor dem Beginn der Arzneimittelverordnung zu informieren; er kann innerhalb von acht Wochen nach Eingang der Mitteilung widersprechen, sofern die Voraussetzungen nach Satz 1 nicht erfüllt sind. Das Nähere, auch zu den Nachweisen und Informationspflichten, regelt der Gemeinsame Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6. Leisten Studien nach Satz 1 für die Erweiterung einer Zulassung einen entscheidenden Beitrag, hat der pharmazeutische Unternehmer den Krankenkassen die Verordnungskosten zu erstatten. Dies gilt auch für eine Genehmigung für das Inverkehrbringen nach europäischem Recht.
Bewertungen und Versorgung außerhalb der Arzneimittelzulassung
Worum geht es?
§ 35c SGB V regelt, wie der Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis zu Arzneimitteln bewertet wird, die außerhalb ihrer Zulassung eingesetzt werden sollen (off-label-use), und in welchen Fällen Versicherte im Rahmen von klinischen Studien mit zugelassenen Arzneimitteln versorgt werden können. Im Fokus stehen Zuständigkeiten, Abläufe und Voraussetzungen für diese besonderen Versorgungssituationen.
Expertengruppen für Off-Label-Bewertungen
Wenn zugelassene Arzneimittel für andere als die zugelassenen Indikationen angewandt werden sollen, ist der Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis besonders wichtig. Dazu:
Für die Abgabe von Bewertungen zum Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis über die Anwendung von zugelassenen Arzneimitteln für Indikationen und Indikationsbereiche, … beruft das Bundesministerium für Gesundheit Expertengruppen beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte …
Kernpunkte:
- Das BMG setzt beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) Expertengruppen ein, die diese Bewertungen erstellen.
 - Mindestens eine dieser Gruppen ist dauerhaft eingerichtet, weitere können spezifisch ergänzt werden.
 - Die Organisation regelt eine spezielle Geschäftsordnung des BfArM.
 
Zur Sicherung von Objektivität und Unabhängigkeit gilt § 139b Abs. 3 S. 2 analog: Nebentätigkeiten und Interessenkonflikte werden besonders geregelt.
Wer kann eine Bewertung anfordern?
- Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA)
 - Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG)
 
Wozu dienen die Bewertungen?
Sie werden dem G-BA als Empfehlung zur Beschlussfassung vorgelegt. Der G-BA entscheidet, ob und ggf. unter welchen Bedingungen der Off-Label-Use von der GKV übernommen werden kann.
Bewertungen sollen nur mit Zustimmung der betroffenen pharmazeutischen Unternehmer erstellt werden.
Wichtige Einschränkung: Pharmaunternehmen müssen der Bewertung zustimmen.
Gesonderte Klagen gegen diese Bewertungen sind unzulässig.
Rechtsschutz: Eine direkte Klage gegen diese Bewertungen gibt es nicht.
Versorgung mit Arzneimitteln im Rahmen klinischer Studien
Abs. 2 betrachtet die Frage, unter welchen Voraussetzungen gesetzlich Versicherte in klinischen Studien mit zugelassenen Arzneimitteln versorgt werden dürfen.
Voraussetzungen sind:
- Zu erwartende therapierelevante Verbesserung bei schwerwiegender Erkrankung im Vergleich zu bestehenden Behandlungsoptionen
 - Mehrkosten stehen in angemessenem Verhältnis zum potenziellen Zusatznutzen
 - Behandlung durch einen Arzt, der an der (Vertrags-)ärztlichen Versorgung teilnimmt
 - Der G-BA widerspricht der Arzneimittelverordnung nicht
 
Der Gemeinsame Bundesausschuss ist mindestens zehn Wochen vor dem Beginn der Arzneimittelverordnung zu informieren; er kann innerhalb von acht Wochen nach Eingang der Mitteilung widersprechen …
Ablauf im Überblick:
- Vorab-Info an den G-BA: mind. 10 Wochen vor Behandlungsbeginn
 - G-BA hat 8 Wochen Zeit, um ggf. zu widersprechen (wenn Voraussetzungen nicht erfüllt)
 - Die Versorgungspflicht der Krankenkassen entfällt, wenn das Arzneimittel laut Gesetz kostenlos vom pharmazeutischen Unternehmer bereitgestellt werden muss.
 
Kostenerstattung: Wenn eine Studie entscheidend zur Erweiterung der Zulassung beiträgt, müssen pharmazeutische Unternehmer den Krankenkassen die Verordnungskosten erstatten (gilt auch für EU-Zulassungen).
Die Regelungen dieses Paragraphen betreffen alle, die mit der Bewertung und Abgabe von Arzneimitteln an der Grenze zwischen Regulärzulassung und individueller Patientenversorgung zu tun haben. Besonders relevant sind die Voraussetzungen und Verfahren für Off-Label-Anwendungen und klinische Studien, da diese in Apotheken und Praxen immer wieder konkret werden können.
Zusammenfassung
§ 35c SGB V legt klare Abläufe und Verantwortlichkeiten fest, wenn Arzneimittel außerhalb ihrer Zulassung zum Einsatz kommen sollen oder in klinischen Studien für schwerwiegende Erkrankungen genutzt werden. Die Bewertung liegt in der Hand unabhängiger Expertengremien, eingebettet in ein Regelwerk zu Transparenz und Unabhängigkeit. Versicherte profitieren von klaren Anspruchsbedingungen auf innovative Therapien im Rahmen von Studien – unter Wahrung der Wirtschaftlichkeit und wissenschaftlichen Fundierung. Für Pharmazeutinnen und Pharmazeuten ist die Kenntnis dieser Strukturen zentral, um die Versorgung sicher und rechtssicher zu begleiten.
Feedback
Melde uns Fehler und Verbesserungsvorschläge zur aktuellen Seite über dieses Formular. Vielen Dank ❤️